Sie sind Präsident der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen – was ist die Aufgabe dieser Gesellschaft?
Amandus Samsøe Sattler: Im Verein sind alle Branchen der Bauwirtschaft repräsentiert, von der Planung bis zur Immobilienentwicklung. Wir wollten ein System anbieten, mit dem nachhaltiges Bauen nachvollziehbar und messbar wird. Über die Zertifizierung von Gebäuden, durch welche die unterschiedlichen Aspekte des nachhaltigen Planens, Bauens und Betreibens praktisch anwendbar werden, soll das gefördert werden. Das hat auch mit finanziellem Erfolg zu tun. Eine zertifizierte Immobilie ist mehr wert als eine, die nicht zertifiziert ist. In Zukunft spricht man davon, dass Gebäude, die keine Zertifikate vorweisen können, aus dem Markt fallen.
Wo steht die Baubranche beim Thema Nachhaltigkeit heute?
A.S.: Es finden große Bemühungen in vielen Bereichen der Branche statt. Es gibt tolle Leuchtturmprojekte, Forschungsprojekte und Start Ups. Die Frage ist aber, bis wann wir in eine umfassende Umsetzung kommen und die Politik so weit ist, dass entsprechende Gesetze nachgezogen werden. Auch die Gesellschaft muss bereit sein, konsequent nachhaltig zu leben und auch beim Bauen keine Kompromisse zu machen. Das braucht noch ein paar Jahre oder sogar Jahrzehnte, würde ich sagen.
Wo muss die Gesellschaft hin, wie weit muss das gehen?
A.S.: Es gibt immer mehr Normen die auch mehr fordern, auch Gesetze unterstützen viele expansive Ansätze, die kontraproduktiv sind. Im Umbau werden noch immer die gleichen Standards gefordert wie im Neubau, hier brauchen wir Veränderung. Das nennen wir die Bauwende. Es entsteht gerade ein Bewusstsein für die Möglichkeiten im Bereich der Sanierung. Aber im Gegensatz dazu steht die immerwährende Forderung nach Wachstum, die in der Politik immer noch ganz klar vorhanden ist.
Wir brauchen jetzt eine Vollbremsung, sonst erreichen wir unsere Klimaziele nicht. Mit Neubau oder Ersatzneubau kommen wir nicht dorthin, wo wir hin müssen. Und deswegen lautet die dramatische Meldung: Wir müssen weniger neu bauen! Das gefällt vielen nicht, weil sie damit ihr Geld verdienen. Aber wenn wir das ernst nehmen, was wissenschaftlich fundiert nachgewiesen wird, dann müssen wir rasch unsere Produktivität ändern.
Wie weit sehen sie nachhaltiges Bauen im Bewusstsein der Architekt:innen und Planer:innen verankert?
A.S.: Das kommt jetzt mit ganzer Kraft zu den Planer:innen. Es gibt gerade eine Ausbildungsoffensive, berufsbegleitend, aber auch an den Hochschulen. Dort hat man das Thema zwar im Lehrplan, aber es ist generell in der Ausbildung noch zu wenig verankert. Man lernt immer noch in erster Linie, Neues zu entwerfen. Viele Büros haben auch wenig Chancen, nachhaltige Planung umzusetzen. Am Schluss entscheiden der Bauherr und die Finanzen und häufig wird die konventionelle Standardlösung genommen, die auf den ersten Blick am kostengünstigsten ist.
Also entstehen auch ganz neue Berufsfelder?
A.S.: Ja, und das finde ich sehr anspornend. Weil ich glaube, dass die Zeit des entwerfenden Architekten, der mit ganz fantastischen und furiosen Ideen die Welt erobert, vorbei ist. Jetzt kommen Jahre mit einer Architektur, die vor allem reduktiv dem Klima dient. Wir wollen robuste und gute Architektur planen, die umnutzungsfähig ist, aber auch viel Umbau und Renovierung: weiterbauen, aufstocken, anbauen, umnutzen. Wir wollen Treibhausgasreduzierte Materialien und Konstruktionen und wiederverwendete Bauteile nutzen.
Wie relevant ist der wirtschaftliche Aspekt?
A.S.: Der war immer relevant. Nun haben wir steigende Zinsen und hohe Baukosten, und durch die Verteuerung der Energiekosten auch hohe Betriebskosten. Wenn Energie, auf die man sich in den letzten Jahren verlassen hat, immer teurer wird, dann ist das für die Bevölkerung eine große Herausforderung. HELLA hat einen schönen Slogan in der Werbung – COOL SHADOWS. Man kann auf eine Klimaanlage komplett verzichten und Energie sparen, wenn man auf guten Sonnenschutz setzt und beim Bauen an die vielen klimatisch wichtigen Aspekte denkt. Das ist die gute Botschaft: Vieles braucht und verbraucht man nicht, wenn man das Haus vernünftig und mit den richtigen Komponenten baut.
Wir bei HELLA sehen es als Fehlentscheidung, Fenster oder Fassaden ohne integrierte Sonnenschutzsysteme zu kaufen. Wie sehen Sie das?
A.S.: Das sehe ich auch so. Nicht jeder versteht, das richtige System auszuwählen. Weil eben auch Sonnenschutz nicht gleich Sonnenschutz ist. Viele denken nur an die normale Standard-Jalousie. Dann schauen am Ende alle Häuser gleich aus, wenn die Sonne scheint. Textile Behänge finde ich besonders interessant. Damit kann dem Haus noch mal eine andere ästhetische Qualität, vielleicht sogar mit Farbe, verliehen werden. Der Sonnenschutz mit all seinen Konsequenzen ist im Entwurfsprozess genauso wichtig und ernsthaft zu behandeln wie jedes andere Thema! Ein besonderer Aspekt ist auch, wie man Tageslicht ins Gebäude bringt, trotz dem benötigten Sicht-, Blend- und Hitzeschutz. Das spart auch Energie und erspart den Nutzern das Arbeiten bei Kunstlicht. Ich glaube, außenliegender Sonnenschutz muss bei allen Wohn- und Gewerbegebäuden Standard werden.
Auf welche Projekte und Highlights Ihrer Laufbahn sind Sie besonders stolz?
A.S.: Es gibt ein Projekt, auf das ich bis heute stolz bin, obwohl ich es aus Gründen der Nachhaltigkeit so nicht mehr bauen würde. Die Herz-Jesu-Kirche in München, die ein Glashaus ist, lebt von dem natürlichen Licht im Raum, das durch die besonderen Fassaden modelliert wird. Das Licht erschafft so den Raum. Aber ein Glashaus heizt sich im Sommer auf und kühlt im Winter auch aus. Wir konnten der Auftraggeberin – der Kirche – ja nicht eine Klimaanlage anbieten, mit der sie mal schnell 16.000 Kubikmeter überhitzte Raumluft kühlt. Das Gebäude ist ein großer einschiffiger Raum, außen aus zum Teil bedruckten Gläsern, innen mit einer zweiten Schale aus Holzlamellen. Es ist uns gelungen, die Kirche auf natürliche und regenerative Weise zu klimatisieren und nutzbar zu machen.
Was bedeutet Nachhaltigkeit für Sie privat – wie leben Sie das?
A.S.: Vor Corona war ich Vielflieger, nun bin ich seit drei Jahren nahezu nicht geflogen. Wir fahren jetzt alles mit der Bahn. Ich habe mein Auto abgeschafft und wir ernähren uns rein biologisch. Wir versuchen vieles bei uns selber richtig zu machen, damit wir da nicht mit zwei Zungen sprechen: Vorne erzählen, wie wichtig Nachhaltigkeit ist und hinten schämen wir uns beim eigenen Handeln. Am Anfang mussten wir uns immer wieder darauf besinnen, jetzt ist es unser Lebensprinzip geworden.
Vielen Dank für das interessante Gespräch!